„Ich habe gelernt selbstbewusster zu werden. Ich habe gelernt meine Meinung zu vertreten. Ich habe gelernt Gemobbten zu helfen. Im Vielfalt-Workshop habe ich gelernt: Mensch ist Mensch, egal ob homosexuell oder hetero.“ (Teilnehmer im Programm JMD-Respekt Coaches, 8. Klasse)
Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend teilte uns völlig unerwartet mit, das gesamte Bundesprogramm Bildungsberatung Garantiefonds-Hochschule (GF-H) sowie das Programm JMD-Respekt Coaches (JMD-RC) in diesem Jahr beenden zu wollen. Zudem sind im Bundeshaushalt 2024 einschneidende Mittelkürzungen in den Psychosozialen Zentren (PSZ), der Asylverfahrensberatung sowie der Migrationsberatung für Erwachsene Zugewanderte (MBE) und dem Jugendmigrationsdienst (JMD) vorgesehen.
Wir sind bestürzt!
Die Bildungsberatung des Evangelischen Vereins für Jugendsozialarbeit unterstützt seit vielen Jahren erfolgreich junge Zugewanderte bei der Vorbereitung eines Hochschulstudiums in Frankfurt am Main und darüber hinaus. Vor allem werden junge geflüchtete Zugewanderte aus der Ukraine, Afghanistan, Syrien sowie aus vielen anderen Ländern beraten, die hier ein Hochschulstudium anstreben und sich später als zukünftige Fachkräfte in das gesellschaftliche Leben in Deutschland einbringen wollen. Die Nachfrage ist immens und die Wartezeit für einen Beratungstermin beläuft sich derzeit auf 8 Wochen. Es gibt bundesweit kein anderes Programm, das junge Geflüchtete so erfolgreich für ein Studium qualifiziert und sie bei der Integration in das deutsche Bildungssystem unterstützt – und das bereits seit über 50 Jahren. (hier finden Sie eine Informationsbroschüre)
Das Bundesprogramm JMD-Respekt Coaches des Evangelischen Vereins arbeitet seit der Programmgründung 2018 primärpräventiv an Schulen. Die Ziele und Aufgaben des Programms sind u.a. Antidiskriminierungsarbeit zu leisten, interreligiöse und interkulturelle Kompetenzen zu fördern, Demokratie zu stärken und zu Toleranz und Respekt unter jungen Menschen beizutragen, sind angesichts der aktuellen gesellschaftlichen Krisen und antidemokratischen Entwicklungen so notwendig wie nie zuvor. Durch das Programm konnten in den letzten Jahren eine Fülle von Angeboten zu den Themen wirkungsvoll umgesetzt und viele Schüler*innen erreicht werden. (hier finden Sie O-Töne & Evaluation der Wirksamkeit)
Der Jugendmigrationsdienst ist als bundesgefördertes Regelangebot ein wichtiger Baustein der Integrationspolitik des Bundes. Seine Arbeit dienst als Motor zur Erhöhung der Chancengerechtigkeit und Verbesserung der Rahmenbedingungen und Zugangschancen für junge Migrantinnen und Migranten. Junge Menschen mit Migrationsgeschichte werden bei der sozialen, sprachlichen, schulischen und beruflichen Integration kontinuierlich begleitet. Mit unseren Beratungs- und Unterstützungsangeboten tragen wir nachhaltig dazu bei, die Chancen auf Bildung, Ausbildung und Beschäftigung zu erhöhen sowie Perspektiven zu schaffen und Teilhabe zu ermöglichen. (Hier finden Sie eine Darstellung der Wirksamkeit)
In der Migrationsberatung für erwachsene Zugewanderte werden in den Beratungszentren der Evangelischen Kirche in Frankfurt und Offenbach jährlich über 500 Personen zu den Themen Sprache, Integrationskurse, Arbeit, Gesundheit, Ausbildung und Schule beraten sowie in der Beantragung von Sozialleistungen nach SGB II, SGB III und SGB XII unterstützt. Die Anfragen Ratsuchender übersteigen regelhaft die Kapazitäten der Berater:innen. Die vorgesehene Mittelkürzung von 82 Mio. Euro auf 57 Mio. Euro führt zum Abbau der dringend notwendigen Beratungskapazitäten und steht im Widerspruch zu den im Koalitionsvertrag erklärten integrationspolitischen Zielen der Bundesregierung sowie dem Beschluss der Sonder-MPK der Regierungschef:innen der Länder mit dem Bundeskanzler vom 10. Mai 2023 („Der Bund wird migrationsspezifische Beratung, Erstorientierungs- und Integrationskurse des BAMF sowohl quantitativ als auch qualitativ bedarfsgerecht ausbauen.“ (S. 11 f.)).
Im Bereich der Asylverfahrensberatung hat der Fachdienst Beratung und Therapie für Geflüchtete in 2022 in der Stadt Frankfurt und in hessischen Erstaufnahmeeinrichtungen knapp 1000 Klient: innen im Asylverfahren unterstützt, auf Anhörungen vorbereitet und Hilfestellung beim Einlegen von Rechtsbehelfen gegeben.
Die Psychosozialen Zentren beraten zahlreiche Geflüchtete, die eine niedrigschwellig psychotherapeutische Hilfe benötigen. Für Menschen, die als Folge von kumulativen Verlusten, Verfolgung, Gewalt, Folter oder anderen schweren Menschenrechtsverletzungen unter psychischen Traumafolgestörungen oder anderen psychischen Störungen leiden, muss dringend psychosoziale Hilfe gewährleistet bleiben. Bereits jetzt wird nur ein Bruchteil der Geflüchteten erreicht. Im PSZ des Evangelischen Regionalverbands wurden in 2022 ca. 180 Personen psychotherapeutisch im Einzel- und Gruppensetting versorgt. (Aktuelle Darstellung der Versorgungslage: Psychosozialer Versorgungsbericht 2023)
Diese folgenschweren Maßnahmen sind vom BMFSFJ geplant:
- Beendigung der Programme Bildungsberatung Garantiefonds-Hochschule und JMD-Respekt Coaches.
- 20% Kürzung (5,05 Mio. Euro) im Jugendmigrationsdienst
- 30% Kürzung (25 Mio. Euro) im Bereich Migrationsberatung für erwachsene Zugewanderte
- 60% Kürzungen (10 Mio. Euro) der Psychosozialen Zentren.
- Der geplante Ausbau in der Asylverfahrensberatung, um eine behördenunabhängige Asylverfahrensberatung zu gewährleisten, soll nicht umgesetzt werden.
Vor dem Hintergrund der gesellschaftlich dringend notwendigen Arbeit, die in den dargestellten Bereichen geleistet wird, ist es nicht nachvollziehbar, aus welchen Gründen diese erfolgreichen Programme mit einer sehr hohen Nachfrage und gesellschaftlicher Relevanz plötzlich eingestellt oder massiv gekürzt werden sollen.
Wir weisen künftigen Fachkräften, die Deutschland so dringend braucht, den Weg und bewirken nachhaltig eine an der einzelnen Person und ihren Bedarfen orientierte Integrationsleistung sowie eine an den Menschenrechten ausgerichtete politische Bildung.
Der Haushaltsentwurf, der die Kürzungen und Einstellungen der oben genannten Programme enthält, wird dem Bundestag nach der Sommerpause vorgelegt und im Prozess bis zur letzten Lesung Ende November entschieden. Dementsprechend gilt es unmittelbar aktiv zu werden und entschieden zu handeln.
Wir schließen uns den Forderungen der Diakonie Deutschland vollumfänglich an. Unsere Forderungen an die Bundesregierung lauten:
- Erhalt der Programme JMD-Respekt Coaches und Bildungsberatung Garantiefonds-Hochschule
- Für die Ausstattung der Jugendmigrationsdienste muss mindestens die Summe bereitgestellt werden, die im Jahr 2023 zur Verfügung steht (68,85 Mio. Euro). Darüber hinaus müssen den Jugendmigrationsdiensten mindestens 10 Mio. Euro zur Verfügung gestellt werden, um Demokratiebildung an Schulen, die weiter steigende Anzahl von Beratungsfällen und zusätzliche Aufgaben, die unter anderem durch das Chancenaufenthaltsgesetz und das Fachkräfteeinwanderungsgesetz entstehen, bewältigen zu können
- Im Bereich Migrationsberatung dürfen die vorgesehenen Kürzungen nicht beschlossen werden. Eine Bereitstellung zusätzlicher Mittel in der Höhe von insgesamt 52 Mio. Euro ist notwendig, um unter anderem auch die Asylverfahrensberatung zu einer behördenunabhängigen Beratung auszubauen
- Finanzielle Ausstattung der psychosozialen Zentren auf dem Niveau von 2023
Weiterführende Links/ Stellungnahmen und Positionspapiere:
Titel: Positionspapier Liga der Freie Wohlfahrtspflege in Hessen e.V.
Rettung der Jugendmigrationsdienste (JMD):
https://weact.campact.de/petitions/rette-unsere-jugend-rette-die-jugendmigrationsdienste
JMD-Respekt Coaches:
Rettung GF-H:
Social Media Kampagne Evangelischer Verein für Jugendsozialarbeit in Frankfurt am Main e.V.
Brief des ERV Frankfurt/ Offenbach – Entschieden gegen die Programmbeendigungen
Diakonie Deutschland – Bundeshaushalt 2024 – Den Sozialstaat nicht kaputtsparen
Diakonie Hessen – Bundeshaushalt 2024: Kahlschlag in der Migrations- und Flüchtlingsberatung
BAGFW – Scharfe Kritik an Kürzungsplänen der Bundesregierung